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Oliver Arend
Administrator
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Beitrag 23659
, Rückwärts-Bergung
[25. Dezember 2002 um 23:04]
Viele von Euch kennen vielleicht oberflächlich das Phänomen, dass Raketen "bergauf" perfekt stabil sind, beim Abstieg nach einem erfolglosen Auswurf jedoch nicht vorwärts wieder herunterfallen ("stabil nach unten fliegen"), sondern eher waagerecht taumeln.
Ich habe eine Arbeit von Peter Alway und seinem Bruder Bob gefunden, in der das Phänomen erklärt wird. http://members.aol.com/petealway/srrg.htm Für die, die des Englischen nicht mächtig sind: Es werden sowohl der Barrowman-Druckpunkt (für niedrige Anstellwinkel) als auch der Schattenriss-Druckpunkt (für hohe Anstellwinkel) betrachtet. Diese liegen bekanntlich bis zu mehreren Kalibern auseinander. Der Schwerpunkt muss nun zwischen diesen beiden Punkten liegen: Vor dem Barrowman, aber hinter dem Schattenriss-DP. Das bedeutet für den Aufstieg, dass die Rakete vorwärts stabil ist, aber rückwärts nicht mehr, da der Barrowman-Druckpunkt nun vor dem Schwerpunkt läge. Die Rakete dreht sich nun und entwickelt somit einen hohen Anstellwinkel. Nun gilt der Schattenriss-Druckpunkt, und dieser liegt im Rückwärtsflug hinter dem Druckpunkt, die Rakete ist also stabil. Resultierend wird die Rakete mit dem Heck voran, aber doch erheblich "waagerechter", zurück zur Erde fallen/taumeln. Oliver |
Bertram Radelow
SP-Schnüffler Registriert seit: Apr 2001 Wohnort: CH-7270 Davos Verein: Argos, MGD Beiträge: 926 Status: Offline |
Beitrag 23662
[25. Dezember 2002 um 23:27]
Absolut perfekt vorgeflogen - und zu meinem allergrössten Erstaunen - wurde es <i>leider leider</i> mit der holländischen L2-Nike Smoke (12 kg?) am letzten ALRS, bei der das Bergungssystem komplett versagte: Aber statt dass sie am Gipfelpunkt umdrehte und sich Kopf voran mit 800 km/h im Boden versenkte (und vorher den Kopf versengte? oder heisst das jetzt versängte? wel es vorher so singt im Kopf?) taumelte sie einfach <b>quer</b> vom Himmel nach unten. So erklärt sich auch die relativ geringe Beschädigung - niemand würde glauben, dass diese Rakete ungebremst aus ca. 700 m (?) Höhe vom Himmel gefallen ist. Man sieht an diesem Foto auch, dass sie quer mit einer Flosse eingeschlagen ist.
Bertram Folgende Datei wurde angehängt: |
Bertram Radelow
SP-Schnüffler Registriert seit: Apr 2001 Wohnort: CH-7270 Davos Verein: Argos, MGD Beiträge: 926 Status: Offline |
Beitrag 23664
[25. Dezember 2002 um 23:50]
Ich habe den Artikel von Peter Always gerade durchgelesen: <b>ABSOLUTE KLASSE</b>. Es war das Innovativste, was ich seit - ja eigentlich seit überhaupt (was in meinem Fall heisst, als ich mitbekam, dass Cg vor Cp sein muss) - gelesen habe. Und ein <b>ABSOLUTES MUSS</b> für - eigentlich für alle. Ich möchte mein (lautloses) "Schreien" nach Netikette V. 17.98.003 entschuldigen, aber ich stehe dahinter:
P. Always erklärt das von vielen von uns beobachtete Phänomen, dass Raketen manchmal nach dem Apogäum ganz und gar nicht das tun, was wir eigentlich erwarten. Auch meine "Jugend"-Raketen sind des öfteren ohne Fallschirm quer vom Himmel gesegelt, mich im Glauben wiegend, es sei ja alles ganz harmlos. Raketen als binäres System - das erklärt etliches. Danke an den <i>information digger</i> Oliver. Bertram |
Andi Wirth
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Beitrag 23672
[26. Dezember 2002 um 11:16]
Hallo miteinander
Jetzt sind mir gleich in mehreren Bereichen die Augen aufgegangen! Ich habe nun endlich kapiert, 1. was das Feature "Cardboard cutout" für die Stabilitätsrechnung in RockSim soll (habe ich immer deaktiviert wegen der Übersicht) 2. warum viele Raketen, die stabil fliegen (z.B. Estes Alpha) den Schwingtest nicht bestehen und 3. woher wir kommen und wohin wir gehen ähh, nein, sorry, falsches Forum. Im Ernst: Da wird nun wirklich einiges klar. Die Nike Smoke übrigens wog 8kg ohne Motor und flog auf einem K1100. Am Gipfelpunkt ist sie zunächst einige Sekunden rückwärts gefallen und hat sich dann um 90° gedreht. Dies spricht dafür, dass ihr CG mit leerem Motor ziemlich genau im Schattenriss-CP lag. Gruss Andi Lebenserfahrung ist die Summe der Fehler, die zu machen sich kein anderer gefunden hat. (Jules Romains) |
Tom Engelhardt
Überflieger
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Beitrag 23685
[26. Dezember 2002 um 17:14]
Das ist in der Tat interessant!!
Ich hatte dieses Phänomen bei zwei von meinen Vöglen beobachtet, die gerade so (1,01 Kaliber) und gerade eben nicht mehr (0,98 Kaliber) stabil berechnet wurden, und nahm an, das dieses Phänomen bei ebensolchen Fällen auftritt. Ist aber nicht so, wie ich jetzt lernen durfte . Es ist aber mal zu überlegen, ob man bei seinen Level 1,2,3 Raketen nicht diesen Gesichtspunkt als Feature mit einbezieht. Sollten alle Bergungssysteme nicht funktionieren, so hätte man trotzdem noch eine einigermaßen funktionsfähige bzw. reparable Rakete (bei einem Absturz aus 400m senkrecht in den Boden bleibt ja sonst oft nicht mehr ganz soviel übrig). Außerdem spart man sich so das Prinzip: Bist Du in Gefahr und Zweifel, renn' im Kreis, schrei' wie der Teufel. Gruß, Tom aus Gö |
Bertram Radelow
SP-Schnüffler Registriert seit: Apr 2001 Wohnort: CH-7270 Davos Verein: Argos, MGD Beiträge: 926 Status: Offline |
Beitrag 23690
[26. Dezember 2002 um 17:41]
hi Tom,
(offensichtlich wieder nüchtern von der Examensfeier?? ) genauso dachte ich auch - es bei den schwereren Brocken gezielt zu planen. Bis zum FLL baue ich mal einen Papprohr-Quickie ohne Schirm - mal sehen, ob man diesen Effekt zuverlässig provozieren kann. Bertram |
Oliver Arend
Administrator
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Beitrag 23728
[26. Dezember 2002 um 23:29]
<span style="font-size:7pt;">Tom Engelhardt schrieb:</span>
> nahm an, das dieses Phänomen bei ebensolchen Fällen auftritt. Ist aber nicht so, wie ich jetzt lernen durfte . So würde ich das nun auch nicht sagen. Der Trick ist doch folgender: Du hast geringe Stabilität bezogen auf CG und Barrowman (Deine 1,01 und 0,98 Kaliber). Das bedeutet, Du hast höchstwahrscheinlich Instabilität bezogen auf CG und Schattenriss. Dann tritt der waagerechte Fall auf. Viele Raketen haben jedoch zwei bis ganz viele Kaliber Stabilität und damit liegt der CG meist sowohl vor dem Barrowman- als auch vor dem Schattenriss-CP und so ist die Raketen in allen Lagen stabil und fällt nach oben und nach unten mit der Spitze nach vorne (-> shovel recovery). Oliver |
Bertram Radelow
SP-Schnüffler Registriert seit: Apr 2001 Wohnort: CH-7270 Davos Verein: Argos, MGD Beiträge: 926 Status: Offline |
Beitrag 23829
[28. Dezember 2002 um 22:37]
Da der Schattenriss bzw. neu-denglisch "CLA" (Center of lateral area) jetzt eine vollkommen neue Dimension bekommen hat, dämmerte mir, dass ich doch da mal so ein Programm geschrieben hatte...
Ich habe also das CPR von 1.2 auf 1.3 gehievt. Neu ist: - bug bei Filenamen mit Zahlen am Anfang behoben - statt meines Fantasie-"empfohlener Schwerpunkt" ist jetzt der SRRG-Schwerpunkt angegeben. Zu diesem Schwerpunkt: R.&P. Alway bemerkten selber, dass im vorderen Bereich keine Gleitstabilität zu erreichen war und erklärten dass mit der Diskrepanz zwischen dem gnadenlosen Schattenriss und dem effektiven seitlichen Druckpunkt, der wegen der Röhrenform (statt Schablonenform) weiter hinten liegt. Schon CPR 1.2 berechnete aber nicht den "gnadenlosen" CLA, sondern den effektiven. In Always Bericht wird ein optimales Gleiten bei 55% relativer Stabilität erkennbar - ich habe in CPR 1.3 60% genommen (wegen der Effektiv-Berechnung); ich hoffe, dass das passt. Download: <a href="http://radelow.modellraketen.net/5/index.htm">CPR 1.3</a> Es ist leider immer noch Windows 3.0 kompatibel - d.h. Filenamen bitte im alten 8.3-Format ohne Sonderzeichen... @Joachim: Deine Äxte sind <i>ideale</i> Modelle dafür - bei Zahlung von 3 Äxten (nicht nummeriert, neu, nicht unter 3m Länge) schreibe ich das Programm auch um für Axtblatt-Flossen Bertram |
Juerg
SP-Schnüffler Registriert seit: Jan 2001 Wohnort: 8102 Oberengstringen, CH Verein: ARGOS Beiträge: 951 Status: Offline |
Beitrag 23863
, Bergung ohne Fallschirm
[29. Dezember 2002 um 14:46]
<i><b>Bis zum FLL baue ich mal einen Papprohr-Quickie ohne Schirm - mal sehen, ob man diesen Effekt zuverlässig provozieren kann.</i></b>
Hallo Bertram Zwei Argumente dagegen: 1. Klarer Verstoss gegen den Safety Code Dabei gehts nicht so sehr um Paragraphenreiterei als vielmehr um das falsche Bild das gezeichnet wird: "Raketen brauchen kein Bergungssystem" (der Zuschauer wird nicht wissen was Deine Ueberlegungen sind und warum Du trotzdem eine sanfte Landung erwartest. Im dümmsten Fall versucht er es auch...) 2. (und wichtiger) Die Sache funktioniert NICHT reproduzierbar. Barrowman gilt für Anströmungen unter kleinem Winkel, die Schattenrissmethode näherungsweise für Quer-Anströmung. Niemand garantiert jedoch dass die Rakete am Gipfelpunkt umkippt! Je nach Wind und Grösse der Rakete wird sie einfach einen Bogen fliegen, immer mehr oder weniger laminare Strömung behalten und ballistisch einschlagen. Also nehmt das Ganze als das was es ist, die Erklärung eines Phänomens welches manchmal, aber beileibe nicht nîmmer auftritt. Herzliche Grüsse Jürg |
Bertram Radelow
SP-Schnüffler Registriert seit: Apr 2001 Wohnort: CH-7270 Davos Verein: Argos, MGD Beiträge: 926 Status: Offline |
Beitrag 23865
[29. Dezember 2002 um 15:10]
Hi Jürg,
zu Punkt 1): o.k., dann startet sie irgendwann nicht am FLL im hinteren Dischma-Tal. Ich kann das Argument bezüglich gemeinsamer öffentlicher Starts durchaus akzeptieren. zu Punkt 2): Der Kipp-Effekt wird <b>zuverlässig</b> durch die Ausstossladung erzeugt, die durch ein 6 mm Loch in der Rumpfwand seitlich ausbläst, direkt unter dem Nasenkonus. Stand im erwähnten Artikel. --- Dass das keine Bergungsmethode für Raketen ist, denen man normalerweise einen Schirm einbaut, ist wohl allen klar (hoffe ich). Bei den Leichtbau-Teilen bis 100gr halte ich das aber sehr wohl für vertretbar; wenn nicht sogar sicherer. Auch die beiden Alway flogen übrigens mit B-Motoren. Liebe Grüsse Bertram |