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Harald

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Beitrag 34252 , Die vergeblichen Bemühungen der deutschen Industrie eigene Forschungsrakete zu bauen [Alter Beitrag20. August 2003 um 20:45]

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Die "Herrmann-Oberth-Gesellschaft e.V." und die "Berthold-Seliger-Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH" waren nicht die einzigen Institutionen im Nachkriegsdeutschland, die sich im Raketenbau versuchten. Auch bei der einschlägigen Industrie gab es zahlreiche Projekte, die aber oft nicht einmal das Versuchsstadium erreichten.

Im Jahre 1961 wurde in der Bundesrepublik Deutschland vom damaligen "Ministerium für Atomkernenergie", dem heutigen Forschungsministerium angeregt, langfristige Entwicklungspläne für die Raumfahrtforschung zu entwickeln und demselben vorzulegen, denn auch in Deutschland wollte man an diesbezüglichen Entwicklungen teilhaben, da man auch in Deutschland an der stürmischen Entwicklung auf dem Gebiet der Weltraumfahrt teilhaben wollte.
1962 wurde nach der Gründung der europäischen Weltraumforschungsorganisationen ESRO und ELDO, die 1975 zur ESA vereinigt wurden, eine "Kommission für Raumfahrtforschung" gebildet, um die Interessen der Forschung und Industrie zu vertreten.
Gleichzeitig erkannte man in Deutschland auch, um als Partner in der ELDO und ESRO ernst genommen zu werden, auch ein eigenes nationales Raumfahrtforschungsprogramm durchführen muß.
So wurden die Industrie und die Forschung aufgefordert, Vorschläge für entsprechende Projekte zu machen, die aber keineswegs Kopien entsprechender westlicher und östlicher Projekte sein sollten.
Eines dieser Projekte war das Projekt "621" der Firma Dornier, welches eine rückführbare Höhenforschungsrakete mit Flüssigkeitsantrieb vorsah. Diese Rakete sollte am Gipfelpunkt in 80 Kilometern Höhe einen "Rogallo"-Flügel, ähnlich dem heutigen "Drachenflieger" ausfahren, an dem sie dann zur Erde zurückkehren sollte. Sobald der Flugkörper eine Höhe von unter 40 Kilometern hatte, sollte er über die am Heck angebrachten Flossen steuerbar sein und in Spiralen zum Erdboden zurückkehren.
Offenbar dachte man bei der Entwicklung -im Unterschied zur "Herrmann-Oberth-Gesellschaft e.V." und "Berthold-Seliger-Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH", die zeitgleich Raketenversuche im Wattengebiet von Cuxhaven durchführten- auch an einen Einsatz im Binnenland und berücksichtigte bei der Rückführbahn alle herkömmlichen Vorschriften der Flugsicherung.
Ende 1963 kam die Firma Bölkow mit der raumfahrttechnischen Gruppe der Firma Heinkel mit einem eigenen Vorschlag und zwar in Form einer Rakete, die an ausführbaren Starrflügeln zurückgeführt werden sollte. Sie sollte in ihren Abmessungen und Flugdaten in etwa der von Dornier vorgeschlagenen Rakete entsprechen, nur sollte sie einen automatischen Anflug auf einen Markierungssender durchführen und dann an einem Fallschirm landen.
Beide Vorschläge hatten ihre Vor- und Nachteile und so beschloß man beide Versionen so lange wie möglich zu fördern.
Daneben wurden seinerzeit noch von den Firmen Bölkow und Dynamit Nobel auf Anregung von Meteorologen auch die Möglichkeit "zerstörbarer Raketen" untersucht. Hierunter versteht man Raketen, die durch in den Raketenkörper eingearbeitete Sprengfolien nach erfolgter Mission in kleine Bruchstücke zerlegt werden sollten, die beim Niedergang weder Personen verletzen noch Sachwerte beschädigen können.
Allerdings wurden dieses Projekt wegen immenser Schwierigkeiten, da sich die Metalldüsen der Raketen sich nicht sicher in unschädliche Bruchstücke zerlegen ließen, bald aufgegeben.
Daneben existierte noch ein Vorschlag der Firma Bölkow, der eine konventionelle meteorologische Rakete auf Basis des im Auftrag der Bundeswehr entwickelten Triebwerks "P250" vorsah, doch hatte dieser keine Aussicht auf Realisierung.
Bemerkenswert ist aber, dass die "Berthold-Seliger-Forschungs- und Entwicklungsesellschaft mbH" eine derartige Rakete 1963 entwickelte und am 19.12.1963 vor Vertretern von Nicht-NATO-Millitärs im Wattengebiet von Cuxhaven vorführte.
Diese Rakete wurde bei dieser Vorführung nur mit verminderter Treibladung gestartet, sie hätte aber vom Nutzlastvermögen und von der Gipfelhöhe beim Start mit voller Treibladung eine gute meteorologische Rakete abgegeben, welche sogar im Unterschied zu den meisten anderen Modellen sogar lenkbar war und mit einem Preis von 1000 Mark pro Gerät (Preisbasis 1963) auch sicher erschwinglich gewesen wäre.
Doch wollte man hiervon wohl bei den Firmen Dornier und Bölkow nicht viel wissen und forschte weiter an den mit Flügeln rückführbaren Raketen.
1964 wurden auch die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel knapper, denn wegen der Raketenvorführung der "Berthold-Seliger-Forschungs- und Entwicklungsesellschaft mbH" vor Nicht-NATO-Millitärs hatte sich das Bild in der deutschen Gesellschaft zuungunsten der Raketen verändert. Man fürchtete, dass zivile Raketenprojekte irgendwann militärisch genutzt werden könnten, was ein Verstoß gegen alliiertes Recht darstellen würde und in der Zeit des kalten Krieges unter Umständen große Probleme gebracht hätte.
So kam es, dass die Arbeiten an beiden Projekten nur noch schleppend vorangingen.
Von der Starrflügelversion der Firma Bölkow ist zu berichten, dass am 29.6.1965 ein Abwurfversuch auf dem Truppenübungsplatz in Hammelburg stattfand. Er scheint nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein, denn kurz darauf wurde das Projekt komplett eingestellt.
Bei der Paragliderversion der Firma Dornier verlief die Erprobung günstiger. 1965 wurden 15 Abwurftest auf dem italienischen Raketentestgelände Salto di Quirra durchgeführt. Obwohl hierbei ein Flugkörper zerstört wurde, konnten die geplanten Ziele erreicht werden. Die errechneten Werte stimmten mit den gemessenen überein.
Zu Raketenflugversuchen kam es aber auch bei dem Projekt der Firma Dornier nicht, denn zum einen hätte ein Textilflügel den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre nicht überlebt.
Man hätte Gewebe aus Edelstahl verwenden müssen, die aber wegen ihrer hohen Knitterempfindlichkeit sich nur schwer zusammenlegen lassen.
Auch war der Landeanflug viel schwieriger durchführbar als gedacht: bei Simulatorversuchen stellte sich heraus, dass es eines geübten Pilotens bedurfte, um den Flugkörper zur Erde zurückzuholen und das dies überhaupt nur gelingt, wenn die Nasenverkleidung nicht fehlt.
Da aber viele Messungen den direkten Kontakt der Messgeräte mit den umgebenen Medium erfordern, war dies impraktikabel.
Ferner fehlte noch ein geeigneter Raketenmotor und ein geeigneter Ort um die Zuverlässigkeit des Systems mit 100 fehlerfreien Starts und Landungen sicherzustellen, bevor an einen Einsatz in Mitteleuropa zu denken war.
Bedingt durch dies technischen Schwierigkeiten, die den Einsatz des Systems immer mehr in die zeitliche Ferne rückten, verschwand bei immer mehr potentiellen Nutzern des Systems das Interesse an dieser Rakete und da auch von staatlicher Seite wegen der oben erwähnten Gefahr der militärischen Nutzung von Raketensystemen kaum noch eine Unterstützung des Projekts in finanzieller oder sonstiger Hinsicht (zum Beispiel für eine Flugerprobung über der Nordsee) erfolgte, wurde das Projekt 1969 eingestellt.
Doch es gab noch weitere Studien für meteorologische Raketen in Deutschland in den 60er Jahren: so wurde von der Firma Dynamit Nobel 1969 eine Studie für eine zerstörbare zweistufige Rakete vorgestellt, die auf der Technik der von der KUNSTSTOFFTECHNISCHEN STUDIENGESELLSCHAFT (KTS) in Bonn-Beuel entwickelten zerstörbaren Messrakete GM12 aufbaut.
Die GM12 war 1,85Meter lang, hatte einen Durchmesser von 11,6 Zentimetern und ein Startgewicht von 23 Kilogramm. Sie konnte eine Höhe von 12 Kilometern erreichen.
Durch Sprengladungen an beiden Enden des Gehäuses und durch in die Brennkammer eingearbeitete Punktladungen wurde diese Rakete nach erfolgten Flug in kleine, ungefährliche Bruchstücke zerlegt.
Die von Dynamit Nobel vorgeschlagene Rakete für eine Gipfelhöhe von 80 Kilometern sollte aus zwei Stufen bestehen, einer Erststufe mit einen Durchmesser von 11,6Zentimeter und die Zweitstufe mit einem von 7 Zentimeter. Beide Stufen sollten als zerstörbare Raketen ausgelegt sein.
Es wurden aber noch weitere Versionen zerstörbarer Höhenforschungsraketen in dieser Studie vorgeschlagen. Da bei den Nutzern kein Interesse an einer zerstörbaren Rakete bestand, blieb es bei Studien.
1971 wurde die Idee vorhandene Raketenmotoren für den Bau einer kostengünstigen meteorologischen Forschungsrakete zu verwenden, erneut aufgegriffen und zwar auf Grundlage der Artillerierakete "LAR".
Diese Rakete hat einen Durchmesser von 11 Zentimeter und ist in der Einsatzversion mit einem 17,5kg schweren Gefechtskopf ausgestattet.
Zuerst wurde eine zweistufige Konfiguration, die mit den damals verfügbaren Motoren DT14 (LARS II) mit 5 Kilogramm Nutzlast nur 60 Kilometer Höhe erbrachte.
Mit den weiterentwickelten Motoren vom Typ LARS III wären bestimmt die gewünschten 80 Kilometer möglich gewesen, doch stand damals noch nicht fest, ob diese je gebaut würden und so wurde beschlossen auf der Basis der vorhandenen Motoren weiterzuarbeiten und eine Rakete zu untersuchen, deren Erststufe aus drei gebündelten LARs besteht und die als Zweitstufe eine einzelne LARs verwendet.
Interessant war, dass in der Erststufe nicht einfach nur drei Raketenmotoren gebündelt waren.
Vielmehr waren ihre Brennkammern untereinander mit Druckausgleichsrohren versehen, um einen ruhigeren Abbrand zu erzielen.
Zuerst galt es herauszufinden, ob die Zweitstufe mit der veringerten Nutzlast überhaupt stabil fliegt.
Der erste Startversuch in der Meldorfer Bucht schlug fehl: in Folge eines bei der Montage vergessnen Sicherungsdrahts an einem Sprengring, der die Düse am Motorengehäuse mit festhielt, schlug die Rakete eine stark gekrümmte Flugbahn ein und schlug auf einen 50 Meter von der Startstelle entfernten Reisighaufen auf, den sie in Brand setzte.
Eine Wiederholung des Startversuchs in Surendorf im April 1972 gelang aber.
Allerdings misslang der erste Flugversuch der Erststufe mit einer Oberstufenattrappe von der Hubinsel "Barbara" in der Nordsee. Die Befestigungen der Motoren lösten sich kurz nach dem Start und jede Rakete inklusive der Oberstufenattrappe flog in eine andere Richtung.
Daraufhin wurde das Projekt, das durchaus recht vielversprechend anfing, eingestellt.
Daneben wurden auch noch ziemlich unkonventionelle Verfahren zum Start von meteorologischen Raketen untersucht: so studierte man 1962 die Möglichkeit kleine Forschungsraketen von dem Schulflugzeug Potez-Heinkel CM191 Magister im Schulterwurf zu starten. Da es aber sehr schwer ist, den richtigen Abwurfpunkt für den Start der Rakete zu finden, wurde diese Idee nicht weiter verfolgt.
Herr Professor Ehmert vom Institut vom Forschungsinstitut für Strahltriebwerke der Universität Stuttgart entwickelte Mitte der 60er Jahre eine Heißwasserrakete mit einer Länge von 2 Metern und einen Durchmesser von 114 Millimeter, welche als Erststufe einer meteorologischen Rakete dienen sollte. Diese Rakete wurde 1965 statisch und 1966 im Flug erprobt. Obwohl diese Erprobungen sehr zufriedenstellend verliefen, wurde das Projekt durch den plötzlichen Tod von Professor Ehmert im Jahre 1966 eingestellt.
Ein weiterer unkonventioneller Vorschlag war die "Papierrakete" der Studenten K. und V. Brandtl. Ihre Rakete bestand wie der Name vermuten lässt aus Papier und zwar wurde für die Zelle mit Wasserglas getränktes Zeitungspapier verwendet, welches die Zelle druck- und feuerfest machte. Als Treibsatz diente mit Natriumnitrat getränktes Zeitungspapier in das als Zünder ein Glühdraht eingearbeitet wurde. Die Düse war aus Holz gefertigt. Dies hört sich auf dem ersten Blick merkwürdig an, doch ist Holz, speziell Eichenholz, ein thermisch außerordentlich standhaftes Material mit guten Wärmeisolationseigenschaften, welches allen damals bekannten Kunststoffprodukten überlegen war.
Ihre Versuchsrakete mit der K. und V. Brandtl 1969 den Preis für "Jugend forscht" gewannen, war 80 Zentimeter lang, hatte einen Durchmesser von 5,5 Zentimetern und eine Startmasse von 1kg.
Sie soll mit einem Startschub von 65kN eine Höhe von 8 Kilometern erreicht haben.
Während Ihres Studiums führten K. und V. Brandtl ihre Arbeit an der Papierrakete weiter und wurden hierbei von der DFVLR unterstützt.
Vorgeschlagen wurde eine Papierrakete zu bauen, die 4kg in 80 Kilometern Höhe befördern sollte, welche weiterhin einen Treibsatz verwenden sollte, der aus mit Natriumnitrat getränkten Papier bestehen sollte. Als Gehäuse sollten maschinell gefertigte Hartpapierhülsen verwendet werden. Die Düse sollte allerdings aus Graphit gefertigt werden und der Motorendverschluß aus Glasfasergewebe. Sowohl die Düse als auch der Motorendverschluß sollten in den Hartpapierkörper eingeklebt werden.
Die fertige Rakete sollte eine Länge von 3,63 Meter und einen Durchmesser von 24 Zentimeter haben. Mit Treibstoff sollte der Flugkörper 61,5Kilogramm wiegen.
Die vorgesehene Brenndauer war mit 21,7 Sekunden sehr lang und da die Rakete mit 3,6G über eine für meteorologische Raketen sehr geringe Startbeschleunigung verfügte, wäre sie in der ersten Flugphase sehr windempfindlich.
Ein weiteres Problem ergab sich, dass es kaum möglich war Gleitschuhe an den Raketenkörper anzubringen, so dass man erwog den Flugkörper in Formstücke aus Hartschaumstoff verpackt, aus einem Rohr abzufeuern, wobei dann diese Schaumstoffstücke dann nach Verlassen des Rohres seitlich abfallen sollten.
Ein großes Problem bereitete auch die Festigkeit der Klebverbindung des Raketengehäuses mit dem Motorendverschluß aus GFK, die weit weniger fest war, als erwartet.
Doch selbst wenn dieses Problem gelöst worden wäre, wäre es nur bei Windstille möglich gewesen, diese Rakete zu starten, was für eine meteorologische Rakete eine starke Einschränkung ihrer Anwendbarkeit bedeutet hätte.
So blieb es beim Bau von Demonstrations- und Studienmodellen.
Summa summarum gesehen ist es schon erstaunlich, dass es vielen namhaften deutschen Firmen und Institutionen nicht das gelang, was die 1961 aus der "Herrmann-Oberth-Gesellschaft e.V." hervorgegangenen "Berthold-Seliger-Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH" schon 1963 sehr gut vollbrachte und zwar der Bau einer deutschen meteorologischen Rakete!

Literatur: "Meteorologische Raketen in Deutschland" von H.-U. Widdel
Herausgegeben in der Schriftenreihe der Deutschen Raumfahrtausstellung e.V.
http://www.v2rakete.de/00000091ff134c204/0191969312122bd01/index.html
http://forum.modellraketen.net/showthread.php?threadid=455
http://www.astronautix.com/sites/cuxhaven.htm
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