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osmadie

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osmadie

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Beitrag 6937977 , Sicherheits-Fallschirm bei hohen Geschwindigkeiten [Alter Beitrag06. Januar 2009 um 00:10]

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Hallo Leute,

Beim Solaris-Flugtag 2007 in Manching haben einige über das Problem diskutiert, wenn wegen falschem Timing oder bei flacher Flugbahn der Fallschirm bei zu hoher Geschwindigkeit ausgeworfen wird. In vielen Fällen gibt es dann starke Zipper oder der Fallschirm reißt ab, das Raketen-Modell wird also stark beschädigt.

Eine mögliche Lösung haben wir entworfen und für den Manching-Flugtag 2008 habe ich das mit einer speziellen Rakete auch getestet, allerdings nur mit teilweisem Erfolg.

Die Idee:
Man baut einen Fallschirm wie gehabt (Kreisfläche aus Fallschirmseide mit Leinen), allerdings sind die Leinen nicht aus starrer Schnur, sondern aus elastischen Gummis (Hosenbund-Gummis aus dem Textil-Laden). Zusätzlich wird eine starre Schnur in der Fallschirmmitte angenäht. Alle Leinen (und die starre Schnur) werden mit dem freien Ende in einem Knoten zusammengebunden. Dabei muss die starre Leine so lange sein, dass sie bei der normalen Fallschirmform bei der End-Fallgeschwindigkeit nur lose rumbaumelt.

Die Funktion:
Wenn der Fallschirm bei hohen Geschwindigkeiten ausgestoßen wird, dehnen sich die Gummis, aber die starre Leine in der Mitte hält die Fallschirmmitte fest, so dass sich der Fallschirm wie ein Regenschirm bei Sturm umstülpt. Dadurch verringert er seine Querschnittsfläche und damit auch seinen Luftwiderstand. Wenn die Rakete langsamer wird, sollen sich die Gummis wieder verkürzen, bis am Ende der Fallschirm in seine gewohnte Form kommt und anschließend die Rakete normal landet.

Hier mal eine Skizze vom Schirm:



Der Test:
Für den Test habe ich die Rakete SpeedD (von Speed-Deployment) gebaut:
1,76m lang, 67mm Durchmesser, Startmasse 1150g

Auslegung so, dass sie mit einem BC125 Stirnbrenner mit Peak auf 700m Höhe fliegt, dann freier Fall bis auf 250m und anschließender Fallschirm-Auswurf.

Als Bergungselektronik wurde der Altimax eingesetzt.

Beim Fallschirm-Auswurf hat die Rakete in der Simulation eine Geschwindigkeit von ca. 80m/s.


Das Ergebnis:
Die Rakete ist an dem Wochenende zwei Mal geflogen (und ist immer noch einsatzbereit! smile ).

1. Flug:
Die Rakete kommt laut Altimax-Messung nur auf 600m
Die Auslösung der Fallschirms in ca. 250m klappt einwandfrei bei gemessenen 70m/s
Vom Fallschirm-Schock bekommt die Raketenzelle anstatt einem Zipper eine ca. 1mm tiefe Delle vom Schock"band" (5mm-Nylonschnur in Nomex-Hülle)
Der Fallschirm und der Rest der Rakete bleiben völlig unversehrt.
Die anschließende Sinkgeschwindigkeit beträgt ca. 10m/s anstatt der ausgelegten 5m/s, da sich der Fallschirm nicht voll entfaltet hat.
Beim Aufschlag knickt die Rakete in der Mitte etwas ein.

Von diesem Flug liegt ein Video im Archiv (Videos vom Manching-Flugtag 2008, SpeedD von Oliver).

Hier die Knickstelle in der Mitte:





2.Flug:
Die Rakete kommt laut Altimax-Messung wieder auf 600m
Die Auslösung der Fallschirms in ca. 250m klappt erneut einwandfrei bei gemessenen 70m/s
Vom Fallschirm-Schock bekommt die Raketenzelle eine ca. 4mm tiefe Delle mit einem kleinen Einriss. (siehe Bild unten)
Der Fallschirm und der Rest der Rakete bleiben völlig unversehrt.
Die anschließende Sinkgeschwindigkeit beträgt wieder ca. 10m/s anstatt der ausgelegten 5m/s, da sich der Fallschirm wieder nicht voll entfaltet hat.
Diesmal ist beim Fallschirm eine Gummi-Leine gerissen und die starre Leine ist aus der Fallschirmdecke ausgerissen. (Siehe Bild unten, linke Leine und starre Leine in Fallschirm-Mitte.)






Zwar hat in beiden Fällen der Fallschirm die Rakete vor größeren Schäden bewahren können, aber leider hat sich der Fallschirm nie voll entfaltet. Eine Überprüfung des Schirms nach der Landung hat auch keine Hinweise auf verhedderte Leinen oder einer Leine über der Schirmdecke gegeben.

Meine Vermutung für die zu hohe Sinkrate ist eine andere:
wahrscheinlich hat der Schirm zwei "stabile" Fallgeschwindigkeiten, eine, bei der der Schirm voll entfaltet ist (das habe ich im Vorfeld testen können) und eine, bei der der Schirm teilweise umgestülpt ist. Durch das Umstülpen ändert sich die Schirmform von einer aerodynamisch stark bremsenden Rundkappe in eine aerodynamisch schwach bremsende Spitzen-Form. Wenn in diesem Zustand die gesamte Bremswirkung des Schirms im Gleichgewicht mit der Raketenmasse steht, wird die Rakete nicht mehr langsamer, d.h. es wird nie zur vollen Schirm-Entfaltung kommen.

Um diese Vermutung zu bestätigen, müsste man mal den Schirm bei verschiedenen Geschwindigkeiten aus dem Auto halten und ein Geschwindigkeits/Bremskraft-Diagramm aufzeichnen. Aber ich kann im Moment nicht absehen, wann ich zu so einem Test komme...

Eine andere Theorie: Durch Turbulenzen werden nicht alle Gummi-Leinen gleich stark belastet, dadurch dehnen sich die Leinen auf einer Seite mehr als auf der anderen, was auch zu einem geringeren Luftwiderstand mit einem flatternden Schirm führt. Das Video scheint diese Erklärung eher zu bestätigen.

Viele Grüße
Oliver

Geändert von osmadie am 06. Januar 2009 um 00:34


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Beitrag 6937990 [Alter Beitrag06. Januar 2009 um 11:11]

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Die beiden Flüge habe ich in Manching beobachtet, ein wirklich innovativer Ansatz der zeigt, daß man mit dem konstruieren einer Rakete nie "fertig" ist.

Ansonsten ist das m.E. ein System, das laut nach der zweistufigen Bergung ruft. Der "Hochgschwindigkeitsfallschirm" sorgt nur für das notwendige Abbremsen, dann geht die zweite Klappe auf und der große Fallschirm kommt raus.

Wenn man das so plant, kann der HG-FS relativ klein ausgelegt werden. Der Vorteil des Gesamtsystems wäre, daß die Rakete nicht allzuweit abgetrieben werden kann, denn sie fällt ja mit großer Geschwindigkeit. Darin liegt übrigens ein besonderer Kick, der mir in Manching auffiel: Da hält das Publikum doch mal den Atem an, ob das pfeilschnell fallende Geräte noch heil runterkommt. Also 6,0 in der sportlichen A-Note!

Wie hast Du übrigens die 70m/s gemessen? Oder ist das aus den Höhendaten errechnet?
osmadie

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osmadie

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Beitrag 6937996 [Alter Beitrag06. Januar 2009 um 13:46]

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Hi Peter!

Die 70m/s Fallgeschwindigkeit ergeben sich in der Tat aus den Höhendaten des Altimax.

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Beitrag 6938925 [Alter Beitrag06. Januar 2009 um 21:34]

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Und wenn du einfach die Gummileinen stärker machst? Sie müssen halt genug Widerstand leisten, dass es nicht zum dauerhaften Umstülpen kommt.

@ Peter: das war ja auch mal meine Grundidee mit der Fallschirmklammer - die zweistufige Bergung mittels zweier Schirme zu vermeiden. Die leinen zusammenzuhalten und ab einer bestimmten Minimalhöhe gezielt freizugeben.
Frage: Wie realisiert man die mechanischen Komponenten? Wo installiert man die Elektronik? Direkt in die Kappe?

Gruß,
Achim


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Beitrag 6951938 [Alter Beitrag27. Januar 2009 um 22:00]

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Hi Osmadie, ich habe mal eine Idee dazu.

Wie wäre es, wenn Du keinen Gummi verwendes, sondern feste Fallschirmleinen, welche länger sind als die mittlere Leine. Diese werden nach den Ausstoß langsam von einer Winde, angetrieben von einem Servo- oder Getriebemotor, innerhalb der Fallschirmkammer eingeholt, bis der volle Schirm bremst?

Wäre ja ein tolles Experiment...

Ciao, Rolli

Geändert von Rolli am 27. Januar 2009 um 22:02

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Beitrag 6951943 [Alter Beitrag28. Januar 2009 um 10:31]

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Zitat:
Wie wäre es, wenn Du keinen Gummi verwendes, sondern feste Fallschirmleinen, welche länger sind als die mittlere Leine. Diese werden nach den Ausstoß langsam von einer Winde, angetrieben von einem Servo- oder Getriebemotor, innerhalb der Fallschirmkammer eingeholt, bis der volle Schirm bremst?



... Oder umgekehrt, die mittlere Leine wird langsam abgespult, bis der volle Fallschirm bremst.

Gruss,
Jonathan
Paul

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Beitrag 6951944 [Alter Beitrag28. Januar 2009 um 10:52]

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... oder nur einfach losgelassen und schon haben wir mit einem Fallschirm Doppelte Bergung realisiert.

Gruß
Paul
Neil

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Neil

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Beitrag 6951945 [Alter Beitrag28. Januar 2009 um 11:05]

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Hi,

die Idee war ja das sich die Konstruktion mit den Gummiseilen selber regelt. Die Berechnung ist relativ einfach. Wie weit dehnt sich ein Gummiseil bei welcher Last? Dazu nehmen einen Meter des geplanten Gummiseil und belasten es mit Gewichten. Dabei wird bei jedem Gewicht die Länge gemessen. Wir können dabei auch gleich die maximale Last des Gummiseils bestimmen.
Die Kappengröße bestimmen wir klassisch anahnd des Gewichts der Rakete und der gewünschten Fallgeschwindigkeit. Was wir brauchen ist der Öffnungschock. Dieser bestimmt mit der Maximallast der Gummiseile die Anzahl derer. Ich würde aber dazu tendieren das nicht bei maximaler Dehnung die Kappe umgestülpt ist sondern eher bei 80% oder so. Da wir den Kappendruchmesser kennen ergibt sich daraus die Längenänderung der Gummiseile bei Maximallast und bei normaler Last. Dies wiederum liefert uns einen Rückschluß auf die Gummiseillänge und die Seillänge in der Mitte des Schirmes.

Gruß

Neil

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Rolli

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Beitrag 6951946 [Alter Beitrag28. Januar 2009 um 12:09]

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Zitat:
... Oder umgekehrt, die mittlere Leine wird langsam abgespult, bis der volle Fallschirm bremst.


... noch besser!!!
Zitat:
... oder nur einfach losgelassen und schon haben wir mit einem Fallschirm Doppelte Bergung realisiert.


... so wird das gemacht! Einfach und effizient.
Die Idee merke ich mal bei einem Modell vor smile

Grüße, Rolli
PyroHunter

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Beitrag 6952905 [Alter Beitrag28. Januar 2009 um 14:04]

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Zitat:
Original geschrieben von Paul

... oder nur einfach losgelassen und schon haben wir mit einem Fallschirm Doppelte Bergung realisiert.

Gruß
Paul




Habe ich schon bei einer Rakete so gebaut. Leider gab es durch den umbau Probleme mit dem Flug der Rakete selber angry . Daher konnte ich es noch nicht richtig testen wird bei nächster Gelegenheit gemacht.

Östlichster Raketenflieger Deutschlands.
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